Nach 2020 und 2022 hat Raphael Legrand sich wieder aufgerapht (autsch!), hat sich selbst von einer Erkrankung kurz vor dem Aufführungstermin nicht bremsen lassen und schenkt dem Publikum dieser Tage einen dritten Goethe-ONE-Abend. Das als „bunter Kleinkunstabend“ angekündigte Event macht diesem Untertitel alle Ehre. Die Vielfalt der Darbietungen stellt sogar die Farbpalette der Scheinwerfer in den Schatten, die im dicht an dicht mit Premierenpublikum besetzten Musikraum der Goetheschule schon für eine Menge Abwechslung sorgen.
Der bunte Reigen wird eröffnet durch Doro, die die geneigten Hörer wie bei einem Poetry-Slam mit auf ihren „Gedankenspaziergang“ nimmt, auf dem sie ebenso tiefsinnig wie sprachlich ausgefeilt über den Sinn des Lebens reflektiert. Dunkel im wörtlichen Sinne geht es weiter mit einer von Katrin Buschmann choreographierten Performance der AG Tanz und Theater zur dramatischen Musik von Radiohead. Die ganz in Schwarz gekleideten Tanzenden haben im dunklen Raum jeweils nur ihr Handylicht an und erzeugen damit ganz überraschende Effekte. Wenn sie ihre Handys auf den Boden legen und sich über diesem Lichtbrunnen bewegen, endstehen die fantastischsten Schattenspiele an der Decke.
Zur eleganten Überleitung zwischen den Blöcken liefern die bezaubernden Ansagerinnen Lola und Mila jeweils eine Ab- und Anmoderation, in der sich Lola für die Präsentationen begeistern kann, während Mila die Gelangweilte spielt – was ihr zwar sehr amüsant gelingt, ihr aber angesichts der hochkarätigen Vorführungen natürlich niemand im Publikum wirklich glauben darf!
Als Nächstes entführen Sophia am Cello und Annie am Klavier die Zuhörer mit Jules Massenets „Méditation aus Thaïs“ in die Welt der Musik des späten 19. Jahrhunderts und bieten ein wunderschönes Arrangement dieses Stücks aus einer Oper, das der Komponist eigentlich für Solovioline und Orchester geschrieben hat. Einen überraschenden Kontrast bietet das Duo Raphael Legrand (Klavier) und Ilka Springmann (Sprechgesang) als „Rainer und Maria Rilke“ – allerdings ganz ohne Rilke – mit einer lustigen, teils für den älteren Zuhörer aber kryptischen Aneinanderreihung jugendsprachlicher Ausdrücke. War gar nicht „cringe“, bro 😉
Das folgende Making of-Video sorgt wiederum für Abwechslung und zeigt pointiert-ironisch die Probenarbeit der Combo für den ABBA-Song „Lay all your love on me“. Der unterhaltsame Einspieler von Liam und Matthias zeigt Gabriel, June Jil, Lola, Flori (Gesang), Malina, Selma, Eli und Tom mal spielend, mal Interviews gebend (Interviewer mit Hang zur Provokation: Fritz), aber eigentlich immer gut gelaunt, was das Publikum mit anhaltendem Applaus belohnt.
Wieder live auf der Bühne bietet darauf das Bläser-Quintett der Kammermusik-AG (Leitung Juliane Busse) Giuseppe Maria Cambinis Quintett Nr. 3 in F-Dur. Anna Maria (Flöte), Larissa (Oboe), Laurenz (Klarinette), Lasse (Horn) und Angelina (Fagott) begeistern durch ihr harmonisches Zusammenspiel und zeigen dem Publikum noch einmal die Faszination der klassischen Musik.
Was nach der Pause folgt, ist hingegen „neue Musik“, performt von Hannah, Hannah, Larissa, Berenike, Leonie, Dorothea, Anton und Annika aus dem Musik-LK von Fiona Woll. „Spiele einen Ton. Spiele ihn so lange, bis du spürst, dass du aufhören sollst.“ – So eine der Einblendungen, die das Stück von Stockhausen begleiten. Das muss man sich erst mal trauen! Dafür, dass die Musiker also nach ihrem ganz eigenen Gefühl spielen und improvisieren müssen, zeigen sie ein sehr gutes Gefühl für sich und die Mitspieler und strahlen als Ensemble doch Harmonie aus. Sie haben sich hier im Rahmen des Semesterthemas an etwas herangewagt, das eine ganz besondere Leistung erfordert, und sie liefern diese souverän ab.
Die Bigband (Leitung Felix Grimpe/Daniel Meyer) sorgt im Anschluss für ordentlich Luftbewegung im doch recht stickig gewordenen Raum. Muskialische Luftbewegung, die das Publikum intuitiv mitgrooven lässt. Die Bigband ist einfach immer gut für die Stimmung und bringt mit drei flotten Stücken das Publikum in Laune für den folgenden Science Slam von Jana und Edi, in dem es um Quantenchromodynamik geht. Quanten-was?
Auf jeden Fall dynamisch, dieses Science-Duo, aber was Farben mit Atomkernen und Qunaten zu tun haben, hat sich dem Rezensenten mit seinen mangelhaften Physikkenntnissen nicht ganz klar erschlossen. Dass es aber um ein „buntes Chaos“ geht, passt zweifelsohne in den sehr bunten Abend.
Der nun folgende Auftritt des Cello-Ensembles mit dem „Ruching Blues“ von Gunther Tiedemann wird scheinbar immer wieder von Zuspätkommenden gestört.
Den Reigen der Nachzügler eröffnet Christiane Eichler, die gewissermaßen als Überraschungsgast aus dem Ruhestand heraus eintrudelt und wunderbar ungeschickt ihr Spiel vorbereitet. Nach und nach folgen ihr aber noch weitere Mitspieler, bis dann auch schon fast das Stück vorbei ist. Sehr amüsant zu verfolgen, und jegliche Ähnlichkeit mit dem Schulalltag ist bestimmt rein zufällig!
Sehr besinnlich wird es darauf mit dem Kammerchor (Leitung: Felix Grimpe), dessen Mitglieder sich mit Teelichtern ausgestattet im gesamten Raum verteilen und das wunderschöne „Come In and Stay a While“ von Rhonda Polay singen. Die Vielseitigkeit des Abends setzt Franziska mit einer mitreißenden Tanz-Choreographie fort. Tanz, Musik und Licht sorgen für ein packendes Highlight des Abends. Unglaublich, was sie zeigt, obwohl sie sehr kurzfristig für die leider erkrankte Soraya eingesprungen ist. Chapeau!
Doro präsentiert darauf einen weiteren eigenen Text, in dem sie das Publikum mitnimmt in ihre Gedankenwelt: Was bringt die Zukunft? Was passiert, wenn Träume platzen? Die Anspannung nach dieser wortgewaltigen, bewegenden Performance löst das Vocalensemble der Jahrgänge 5-7 (Leitung Katharina-Franziska Krone/Nadine Schäfer) auf mit einem luftig-leichten „Dernière danse“ – ein Träumchen mit diesen jungen, talentierten Stimmen.
Das grandiose Finale darf dann auch das Vocalensemble einleiten, aber das Publikum singt nach kurzer Probe mit: „Ding Dong Bells“ als musikalischer Flashmob – wie auch alle anderen begeisternden Darbietungen – lässt das Publikum das dritte Goethe ONE sicherlich so schnell nicht vergessen. Wie weiß ja auch der Volksmund: Aller guten Dinge sind drei!
Text u. Fotos: Kai Kämmerer