Caroline Ahlborns Theater-AG exekutiert 11 Geschworene
Das Ganze beginnt recht rätselhaft: Fotos des alltäglichen und nicht alltäglichen Krieges laufen über die Leinwand. Gegen Schluss des Bilderlaufs verdeutlicht Edvard Munchs expressionistischer Schrei, worum es im Folgenden gehen könnte: Angst Schrecken Gewalt. Musikalisch begleitet wird das optische Vorspiel von Ed Sheeran‘s I see fire – wir kennen den Song als Untermalung von SmaugsEinöde, dem zweiten Film der Hobbit-Trilogie. Nur was zum Teufel hat das mit einem Stück über 12 Geschworene zu tun?
Kurz die Handlung: Am Ende eines Mordprozesses, in dem ein Achtzehnjähriger aus den Slums des Mordes an seinem Vater beschuldigt wird, ziehen sich die zwölf Geschworenen zurück, um über das Urteil zu beraten. Der Schuldspruch gegen den Angeklagten scheint eine klare Angelegenheit zu sein, doch in der ersten Abstimmung stimmt der Geschworene Nr.8 als einziger für nicht schuldig. Dem Angeklagten droht im Falle des Schuldspruchs die Hinrichtung durch den elektrischen Stuhl. Einige Geschworene sind aus jeweils unterschiedlichen Motiven an einer raschen Beendigung der Beratung interessiert und drängen deshalb auf einen schnellen Schuldspruch. Gegen ihren Protest rekonstruiert im weiteren Verlauf der Beratung der Geschworene Nr. 8 den angeblichen Tathergang und deckt Ungereimtheiten in der Beweisführung der Staatsanwaltschaft auf. Es gelingt ihm letztendlich sämtliche Geschworene zu überzeugen. Auch der letzte bricht unter dem Druck der elf anderen Geschworenen zusammen.
Zumindest die Älteren unter dem Publikum werden noch die Vorlage des Stückes kennen: Sidney Lumet’s gleichnamigen amerikanischen Filmklassiker aus dem Jahre 1957, mit Henry Fonda in der Hauptrolle des Geschworenen Nr. 8. Das Stück lehnt sich grob gesehen recht eng an diese Vorlage an, die Umsetzung auf der Bühne lässt aber Raum für Freiheiten: So erheben sich nach der einleitenden Foto- und Musiksequenz die Geschworenen aus der Mitte des Publikums und beschreiten die Bühne, ein deutlicher Hinweis darauf, dass es sich um DICH und MICH handelt, die dort gespielt werden. Und wie sich im neurotischen, nichtsdestoweniger „normalen“ Rollen- und Gruppenverhalten WIR als bauerntöffelige Mehrheit nur unter nachhaltigstem Argumentationsdruck dazu durchringen können, sich ihrer Vorurteile zu entledigen und dem Zweifel des EINEN, eben der Nr. 8, zu beugen, das ist genau das Thema des Stückes.
Das Bühnenbild ist knapp gehalten, und so liegt es einzig an den spielerischen Leistungen der Darsteller, die Zuschauer in ihren Bann zu schlagen. Und man muss schon den Hut davor ziehen, wie Caro Ahlborn ihre Schülerinnen (kaum Jungs – hey, wo wart ihr!) dazu gebracht hat, sich den doch recht komplizierten Argumentationssträngen zu stellen und sie mit gekonnter spielerischer Performance zu bewältigen. Besonders zum Schluss, wenn es darum geht, die letzten Geschworenen in ihrem Wahn zu dekuvrieren, können sich die schauspielerischen Talente so richtig freischwimmen und dem zahlreich erschienenen Publikum zeigen, dass in der Sekundarstufe I schon recht professionelle schauspielerische Leistungen erbracht werden können.
Die Botschaft des Stückes: Solange noch Typen wie die Nr. 8 unter uns walten, ist diese Scherbenwelt noch zu retten. Sie mutet zwar recht amerikanisch an, aber gerade der Schluss, an dem sich der aufbrausende Geschworene Nr. 3 outet und lautstark seinen Hass auf den Angeklagten projiziert, ruft den einführenden Scream-Erinnerungslauf wieder ins Gedächtnis und mit ihm die Hohlwelt von Sheeran‘s fire inside the mountains, Metapher der Hohlwelt von UNS Geschworenen.
Text: Jochen Hengst
Fotos: Ilka Springmann, Constanze Krohne